Femizide? Doch nicht hier! –  Diskriminierung und Frauen*morde gehen uns alle an, auch im Beruf (ein Rant)

25 Jun 2021 | Gesellschaft

Vor ein paar Jahren wurde ich gefragt, was ich am meisten daran liebe eine „Frau“ zu sein. Und was soll ich sagen? Ich habe keine Antwort darauf gefunden. Ich habe lange überlegt, aber nichts Positives in meinem Leben, an mir oder in Zusammenhang mit anderen bringe ich damit in Verbindung eine „Frau“ zu sein. Diese Erkenntnis hat mich damals sehr geschockt. Versteht mich nicht falsch, ich mag mein Leben und ich gehe in die Richtung, in die meine Vision mich leitet. Aber nichts davon hat damit zu tun, dass ich eine „Frau“ bin. Und betrachte ich es umgekehrt hatte fast jegliche negative Erfahrung etwas damit zu tun. Zumindest damit, welches Bild einer Frau besteht und welche Handlungsweisen erwartet, welche Umgangsweisen gepflegt werden, wie sehr frau abgewertet wird und wieviel „aushalten müssen“ damit verbunden ist. Mit dieser Rolle „Frau“.

Jetzt denkt ihr vielleicht, dass dieser Umstand ja nichts mit dem Thema der Überschrift zu tun hat. Aber da widerspreche ich. Denn der Femizid ist nur die Spitze eines Eisbergs, der seinen Anfang viel unscheinbarer nimmt.

Das steckt hinter dem Begriff Femizid

Femizid und Feminizid sind Begriffe, die beide den Mord durch Männer an Frauen*, weil sie Frauen* sind bezeichnen. Der Begriff „Femizid“ wurde 1976 durch die Soziologin Diana Russell geprägt. Der Begriff „Feminizid“ ist eine Erweiterung aus den Jahren 2005/2006 durch die Anthropologin Marcela Lagarde. Das ergänzende „ni“ in der Mitte bezieht hier zusätzlich auch die gesellschaftliche Ebene mit ein, durch die derartige Frauen*morde nicht nur strukturell begünstigt werden, sondern Täter oftmals auch nicht bestraft werden (s. auch Artikel von Franziska Pröll „Femizid oder Feminizid – was ist der Unterschied?“ vom 15.6.2020). Ich werde hier überwiegend den Begriff Femizid verwenden, da dieser aktuell der gebräuchlichere Begriff zur Bezeichnung von Frauen*morden dieser Art in Europa ist. Der Begriff Feminizid wird vorwiegend im lateinamerikanischen Raum verwendet (feminicido) und hat bisher nur wenig Eingang in eruopäische Berichterstattungen gefunden.

Femizide passieren ganz weit weg – Oder?

Femizide. Das ist etwas, das „weit weg“ passiert. Denn es ist unvorstellbar, dass die absichtliche Ermordung aufgrund des Geschlechts dort geschieht, wo ich lebe und mich wohlfühle. Feminizide. Nicht hier. Das ist etwas aus dem Fernsehen aus den Nachrichten von weit her. Frauen*morde. Nicht hier. Etwas, dass es nur woanders gibt und nicht im „eigenen Land“. Strukturell bedingte Gewalt an Frauen*. Nicht hier. Wo alles so geordnet und „zivilisiert“ ist. Die geschlechtsspezifische Tötung einer Frau. Nicht hier. Wo wir ein funktionierendes Kranken- und Sozialsystem haben. Mord aufgrund der Tatsache, dass mensch dem weiblichen Geschlecht angehört oder als Frau gelesen wird. Nicht hier. In dieser offenen und „toleranten“ Gesellschaft. Feminizid. Nicht in meiner Nachbarschaft, nicht in meinem Ort, nicht in meinem Land. Oder?

„Jede die will kann sein was sie will.“ „Jede ist für sich selbst verantwortlich.“ „Wer nicht will, hat schon.“ „Frauen können gleichberechtigt sein, wenn sie nur wollen.“ „Selbstgemachtes Leid.“ „Selbst schuld, wenn sie aus einer gewalttätigen Beziehung nicht rausgeht.“ „Man wird ja noch flirten dürfen.“ „Stell dich nicht so an.“ „Sei doch nicht so hysterisch“ „Mittlerweile werden Männer ja wohl diskriminiert“ „Immer diese Frauenbevorzugung“ „Männer sind nun mal das stärkere Geschlecht“ „Das Mütterliche der weiblichen Führung tut Unternehmen gut“ „Ein richtiger Mann zeigt keine Gefühle“ „Männer brauchen körperliche Arbeit“ „Männer sind muskelbepackt, groß und stark“ „Ein richtiger Mann ist ein Beschützer“ „Du hast es gut, als Frau kriegst du alles, musst ja nur deine Reize einsetzen.“

Nicht weit weg. Frauen*verachtung. Die geschlechtsspezifische Tötung einer Frau*. Strukturell begünstigte und bedingte Gewalt an Frauen*. Mord aufgrund der Tatsache, dass mensch dem weiblichen Geschlecht angehört oder als Frau gelesen wird. Ein ganz bestimmtes Bild des Mannes und einer „natürlichen Ordnung der Dinge“. Femizid. Frauen*mord. Feminizid. Die absichtliche Ermordung aufgrund des Geschlechts. Diskriminierung und Ungleichbehandlung. Ganz nah. Hier. Genau hier.

Femizide sind kein Ergebnis von Pandemie und Lockdown

Hier muss ich direkt etwas klarstellen, was derzeit vermehrt zu hören und zu lesen ist. Aktuell wird häufig die Pandemie als Grund für – wie es in den Medien häufig heißt – „vermehrte Gewalt an Frauen“ genannt. Aber dieses Argument ist viel zu kurz gegriffen. Die Gewalt war schon vorher da. Das was zu der Eskalation führt, das was so weit geht, dass eine Frau ermordet wird, weil ein (meist) Cis-Mann sie nicht mehr „besitzen“ kann, hat den Ursprung nicht erst im März 2020.

Ein Femi(ni)zid ist nicht „auf einmal da“ aufgrund der Pandemie, eines Lock-Downs oder zu viel Stress. Es ist etwas, das langsam wächst und dort besonders gut gedeihen kann, wo die Umgebungsbedingungen stimmen. Es vergeht viel Zeit, denn Femi(ni)zide sind keine spontanen Taten. Sie haben eine Vorgeschichte, die vor allem auch durch strukturelle Begünstigungen möglich ist.

Femi(ni)zide sind Morde, bei denen ein Mann eine Frau* aufgrund ihres Geschlechts tötet. Bei den meisten dieser Morde handelt es sich um Täter, die bereits angezeigt wurden wegen Bedrohungen, Stalking oder ähnlichem. Oft sind es Partner oder Expartner, enge Verwandte oder auch Freunde. Dabei spielt Frauen*hass eine Rolle, die Überzeugung, dass Frau* „etwas“ ist, das Mann besitzt. Dass eine Frau* weniger „wert“ ist als ein Mann.

Ausreichend Menschen und offizielle Stellen müssen wegschauen oder dulden. Ausreichend Männer müssen denken, sie besitzen „ihre“ Frauen* und müssen denken, es ist ok Frauen* zu schlagen, zu vergewaltigen, zu beschimpfen und zu töten. Ausreichend Frauen* müssen es als normal empfinden sexistisch und diskriminierend behandelt zu werden. Und das ist kein individuelles Problem, sondern ein gesellschaftliches. Femi(ni)zide geschehen nicht plötzlich oder ohne Anzeichen, sie sind nur die Spitze des Eisbergs.

Frauen*morde sind kein „neues Phänomen“

Ich wurde letztens gefragt, ob es neu sei, dass Femizide geschehen. Und ich verstehe diese Vermutung, denn es ist durchaus neu, dass sie auch in der Öffentlichkeit benannt und somit sichtbar werden. Aber nein, dass sie geschehen, das ist nicht neu. Es ist sogar alles andere als neu. Aber erst seit kurzem wird es als Femizid und Mord betitelt.

Früher hieß es „Ehedrama“, „Beziehungsdrama“, „Familientragödie“ oder „Unglück“. Aber es ist kein Unglück. Es ist kein Unglück, wenn ein Mensch einen anderen Menschen ermordet. Es ist kein Drama, wenn ein Mann eine Frau tötet, weil sie eine Frau ist. Es ist kein Theaterstück. Es ist kein Schauspiel. Es ist Mord. Und es ist ein Symptom einer Gesellschaft, die Frauen und als Frauen gelesene, die all jene die nicht „Mann“ sind, als minderwertig einstuft. Genau das wurde früher als Privatsache angesehen und das ist noch nicht lange her.

Wenn du jetzt kurz innehältst und darüber nachdenkst wie oft du diese Begriffe – Beziehungsdrama, Unglück, Ehedrama, Familientragödie – schon in Schlagzeilen gelesen hast, dann wird dir wahrscheinlich ganz anders. Insbesondere wenn dir jetzt vielleicht bewusst wird, dass hinter den meisten dieser Schlagzeilen in Wirklichkeit Frauen*morde stecken. Erschreckend, oder? Aber es passiert. Femizide geschehen tagtäglich und eben nicht nur weit weg, weder räumlich noch zeitlich, sondern genau hier und genau jetzt. Auch wenn es vor der Öffentlichkeit oft noch verborgen oder zumindest verharmlost wird. Es passiert. Und nur wenn wir hinsehen und aktiv werden, wird es sich ändern.

Zahlen, Daten, Fakten zu Femiziden in Europa

Wenn ich sage, sie geschehen hier und jetzt dann spreche ich nicht von „irgendwo in Europa“. Für mich ist hier und jetzt Wien und Österreich im Jahr 2021. Wusstest du, dass es in Österreich bereits mehr als 14 Femizide in der ersten Jahreshälfte 2021 gab? Wusstest du, dass Österreich als einziges EU-Land mehrmals in Folge mehr Morde an Frauen* als an Männern verzeichnet? Wusstest du, dass im Jahr 2020 in Österreich 31 Femizide gezählt wurden und im Jahr davor 39?

Aber Femizide sind nicht nur in Österreich ein aktuelles Thema. Wusstest du, dass Mitte Juni 2021 in Spanien die traurige Schlagzeile steht: „mindestens 12 Femizide in 4 Wochen“? Oder weißt du wie viele Frauen*morde es in den vergangenen Jahren in Deutschland laut Kriminalstatistik gab? Laut Eurostat waren es 2018 = 204 Frauen* und 2017 = 231 Frauen*, die von ihren Partnern oder Ex-Partnern, Familienmitgliedern oder Verwandten vorsätzlich getötet wurden.

Laut letzter Erhebung der European Union Agency for Fundamental Rights (FRA) wurden im letzten Jahr mehr als ¼ der Frauen* Opfer von Belästigung. Von den Opfern wenden sich aber 68% nicht an die Polizei. 83% der Frauen* gaben zudem an, dass sie das Gefühl haben sich schützen zu müssen, indem sie ihren Bewegungsradius und die Personen in ihrem Umfeld einschränken. Erschreckend, oder? 3 von 4 Frauen* haben das Gefühl nicht sicher zu sein und zusätzliche Schutzmaßnahmen zu ihrer Sicherheit ergreifen zu müssen.

(Eigene Darstellung basierend auf den Datenauswertungen der Kriminalfälle durch Eurostat, die frei verfügbar sind. Hier die Variable „crim_hom_vrel“ zum Aktualisierungszeitpunkt 08/07/2020 für die neuesten verfügbaren Datensätze aus 2017 und 2018).

Wenn du nach den Stichworten „Femizid“, „Feminizid“ und „Frauenmord“ in deiner Umgebung suchst, dann bin ich traurigerweise sicher, dass du auch in deiner Nähe, in deinem „Hier und Jetzt“ oder an einem Ort, dem du dich nahe fühlst, unglaublicher- und schrecklicherweise irgendwo fündig wirst. Wenn nicht, erweitere deine Suche mal um Worte wie „Ehedrama“, „Familientragödie“, „Beziehungsdrama“. Und allein bei der Vorstellung wie viele Morde in der nahen Umgebung von Menschen hier in den Suchmaschinenergebnissen aufscheinen, zieht sich in mir alles zusammen und mir wird eiskalt.

Während laut Eurostat die Anzahl der Morde in Europa insgesamt zurückgeht, gibt es eben auch diesen schrecklichen Trend der Frauenmorde. Wenn du zu Zahlen und Daten einmal ein wenig weiterlesen magst, dann schau doch auf der Seite des europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen rein. Hier werden länderspezifische Statistiken und Forschungsarbeiten gesammelt und zur Verfügung gestellt.

Was haben Femizide nun eigentlich mit meinem Beruf zu tun?

Zunächst einmal bin ich eine Frau und Feministin und bewege mich selbst als selbstständige Unternehmensberaterin in einer Branche, deren Bild immer noch sehr klassisch „männlich-weiß“ geprägt ist. Das wird mir in verschiedensten Situationen auch immer wieder bewusst. Z. B. dadurch, dass mich „fürsorglich“ ein Berater auf Netzwerkveranstaltungen darauf hinweist, ob ich es bemerkt hätte, dass ich beim Logo auf Karten, Stiften und Homepage eine falsche Linie gezogen habe. Oder auch, dass mir „klassische“ Bezeichnungen wie „Kleine“, „Püppchen“ oder auch die Aufforderung meine Reize einzusetzen, um etwas zu erreichen, zu Ohren kommen. Dem Ganzen ist eines gemein, nämlich dass dem zugrunde ein Frauenbild liegt, dass eine Frau* als minderwertig einstuft. Und nein, es sind glücklicherweise nicht alle männlichen Kollegen so. Ich umgebe mich mit Menschen, die meine Werte unterstützen und davon gibt es eine ganzen Menge. Aber es gibt eben auch die hier beschriebene Variante. Und das gar nicht so selten.

Und weil ich davon überzeugt bin, dass jeder Schritt in die richtige Richtung wichtig ist, habe ich mich dazu entschieden für meine Grundwerte nicht nur privat sondern auch beruflich entschieden einzutreten. Anstatt es so hinzunehmen wie es ist, habe ich stattdessen beschlossen auch beruflich gewisse Grundwerte zu meiner Mission zu machen. Denn ich bin davon überzeugt, dass wir alle privat wie beruflich etwas dazu beitragen können, damit keine Frau mehr diskriminiert oder ermordet wird, nur weil sie eine Frau sind.

Ich bin davon überzeugt, dass wir gemeinsam in Vielfalt und Kooperation, mit Gleichberechtigung und Chancengerechtigkeit viel mehr bewegen und besser leben als alleine, in Kampf und Wettbewerb. Diese Überzeugung fließt auch in meine Coachings, Trainings und Beratungen, vor allem aber auch in Entscheidungen für oder gegen Kooperationen und Kund:innenbeziehungen ein. Wem Chancengerechtigkeit, Vielfalt und Gleichberechtigung zuwider sind, mit dem Menschen mag ich nicht arbeiten. Jede:r die:der aufgeschlossen ist hier etwas in die Richtung zu machen, offen für diese Themen ist, die:der ist bei mir als Kund:in oder Kooperationspartner:in willkommen.

Was strukturell verbessert werden kann

In unserer Gesellschaft haben natürlich insbesondere auch die Gesetzgebung und der Staat die Kraft, um einen großen Veränderungsschub einzuleiten.

  • Es wäre bspw. wichtig, Strukturen zu schaffen die bereits vor einer Eskalation zum Mord greifen und präventiv wirken. Hier gibt es schon viele Studien, Konzepte, Institutionen und Möglichkeiten, oftmals fehlt nur die entsprechende Priorisierung seitens der öffentlichen Gelder.
  • Es braucht Kampagnen, die darauf aufmerksam machen, dass Gewalt an Frauen passiert, die Opfer nicht allein sind und die zeigen, welche Hilfsangebote diese Frauen geschützt in Anspruch nehmen können. Die zudem auch darauf Aufmerksam machen wie mensch erkennen kann, wenn jemand zu einem Opfer von Gewalt wurde und was dann zu tun ist.
  • Zudem sollten Themen wie Opferschutz und Gewalt an Frauen auch verstärkt in die Ausbildung jener Berufe einfließen, die direkt mit diesen Thematiken in Kontakt kommen. Denn das ist noch immer nicht die Regel. Die Berufe wären bspw. neben Polizist:in oder Anwält:in, auch Richter:in, Pfleger:in, Ärzt:in uvm.
  • Aber es braucht nicht nur für Frauen, die Opfer werden vermehrte Anlaufstellen, sondern auch für potenzielle Täter, damit sie die Möglichkeit haben rechtzeitig niederschwellig Hilfe zu bekommen.
  • Die Verfahrensdauer und die Möglichkeiten der Anklage und Überwachung müssten zudem verbessert werden. 6 Monate bis zu einer Entscheidung über die Verfahrensaufnahme oder -einstellung durch die Staatsanwaltschaft gegen einen angezeigten Täter, in denen ein potenziell gefährlicher Mann sich weiterhin frei bewegen kann, sind eindeutig zu lang.
  • Außerdem braucht es auch aktuelle Daten, Statistiken, Auswertungen und noch mehr Studien. eim Schreiben dieses Artikels wird mir einmal mehr bewusst, wie schwierig es ist Daten und Statistiken zu diesem Thema zu finden. Das ist ebenfalls ein Teil des Problems: Wie etwas sichtbar machen, wenn die Daten dazu nicht vorhanden sind, weil bspw. ein Land bei einer Erhebung nicht mitmacht oder die Kriminalstatistik nicht verfügbar ist? Oder eben, weil ein Mord gar nicht als Frauenmord oder Femizid dokumentiert wird? Und was denkst du gefühlsmäßig, wie viele versuchte Femizide oder wieviel Gewalt an Frauen es aktuell gibt, die bisher in keiner Statistik und keinem Zeitungsartikel aufscheinen? Wie viele Täter denkst du sind tatsächlich nicht mehr frei da draußen?

Was jede:r einzelne für eine Zukunft ohne Femizide tun kann

So ein struktureller Schub kann nur dort in die richtige Richtung auslaufen und Wellen schlagen, wo es aufgegriffen und getragen wird. Und manchmal wird er auch erst in Gang gesetzt, wenn sich ausreichend Menschen für das Thema interessieren und sich dafür engagieren. Es braucht also meiner Meinung nach viel mehr als „nur“ einen strukturellen Rahmen. Dieser Rahmen muss befüllt und eben auch gelebt werden. Und zwar gesamtgesellschaftlich. Diese Eisbergspitze Femi(ni)zid und letztlich der gesamte Eisberg verschwinden nur, wenn hingeschaut wird, wenn aktiv eine Veränderung herbeigeführt wird.

Denn auf allen Stufen kann präventiv angesetzt werden, um das Äußerste zu verhindern. Und zwar von jedem einzelnen Menschen, privat wie auch im beruflichen Umfeld. Jede:r einzelne kann dabei helfen, diesen Eisberg zum Schmelzen zu bringen und dazu braucht es nicht viel. Wenn jede:r von uns die zwei folgenden Aspekte für sich mitnimmt, wird sich dadurch viel in Bewegung setzen:

  1. Jeder Mensch kann den eigenen Sprachgebrauch reflektieren und darauf achten, welche Worte sie:er benutzt. Damit gemeint ist nicht nur die gendergerechte Sprache. Ganz spannend wird es dort, wo wir uns Floskeln, Sprüche und Wortspiele, Vergleiche und Bilder anschauen, die wir täglich verwenden oder hören. „Worte können sein wie winzige Arsendosen. Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ (Victor Klemperer) Warum nicht die Wirkungsmacht von Worten für eine positive Entwicklung einsetzen?
  2. Jede:r von uns verbringt einen Großteil seines Lebens im Arbeitskontext und gemeinsam mit verschiedenen Menschen im sozialen System „Unternehmen“. Auch hier kann jede:r einzelne etwas tun. Sobald mensch die eigenen Sinne geschärft hat für diese Thematik können wir andere darauf aufmerksam machen. Wir können Diskussionen anstoßen und zum Neudenken anregen. Das Tolle dabei im Arbeitskontext ist, dass das Unternehmen dann als Ganzes eine noch größere Hebelwirkung zur Verfügung hat, um zu sensibilisieren und sich für Gleichberechtigung und Chancengerechtigkeit, Vielfalt und Kooperation einzusetzen. Und zwar auch über die Unternehmensgrenzen hinaus.

Ein Schlusswort

Dieser Artikel soll nicht alle Frauen* und/oder Männer* in Schubladen stecken. Ziel ist es hier, zum Nachdenken anzuregen, damit eben dieses aufhört. Das Einsetzen für Gleichberechtigung, Chancengerechtigkeit und Vielfalt geht uns alle an. Als Privatperson ebenso wie beruflich und unabhängig von Branche, Land, Position oder Zukunftsvisionen. Wir alle können unseren Beitrag dazu leisten, damit unsere Gesellschaft noch lebenswerter wird. Denn diese schrecklichen Taten und Umstände schaden nicht nur den Opfern, sondern uns allen als Gesellschaft. Und eine Veränderung ins Positive nützt uns allen als Gesellschaft. Wenn wir uns dafür einsetzen, dann sind es nicht nur die Frauen* die profitieren. Sondern auch all die Männer*, weil sie keinem spezifischen Bild mehr entsprechen müssen und jede:r einzelne die:der gewalt- und angsfrei leben möchte.

Und ja, sich gegen Femizide und Gewalt einzusetzen und für die Vielfalt, Gleichberechtigung und Chancengerechtigkeit ruckelt und rüttelt an vielem Bestehenden. Es bringt auch die vielen Schubladen durcheinander, die sich über Dekaden festgesetzt haben in Unternehmen, Branchen und der Gesellschaft. Aber Aufrütteln und Durcheinanderbringen, das braucht es. Denn wenn eine Veränderung passieren soll, müssen wir neu denken lernen. Auf Altbewährtem kann nur Altbewährtes wachsen. Für Neues muss es erstmal ruckeln und rattern.

Wenn ihr zukünftig Nachrichten seht, hört oder lest, wenn das nächste Mal diskutiert wird über die Sinnhaftigkeit von gendergerechter Sprache, Gleichberechtigung und Chancengerechtigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft, in eurer Familie, eurem Freundeskreis und eurem Verein. Vielleicht denkt ihr dann an das, was ihr hier gelesen habt und werdet auch dazu beitragen mehr Bewusstsein zu schaffen und unsere Welt ein Stückchen besser zu machen und sicherer. Für dich, deine Eltern, deine Kinder, deine Freunde und alle anderen Menschen.

Denn jeder Schritt und jeder Blick in die richtige Richtung erhöhen die Chancen dafür, dass zukünftig keine „Claudia […] Esther […] Teresa […] Ingrid […] Fabiola […] Valeria”[1] mehr ihr Leben verlieren muss, nur weil sie eine Frau* ist. Und vielleicht begegnen wir uns auch als Menschen – die gegen Gewalt und Mord und für eine Gesellschaft in der jede:r willkommen ist sind – auf einer der Kundgebungen, um gemeinsam zu rufen: „Nicht eine weniger! Nehmen sie uns eine, antworten wir alle! Man(n) tötet nicht aus Liebe! Stoppt Femizide!“

Zum Abschluss habe ich hier für euch einen der bewegendsten Songs zum Thema Feminizide, der „Canción sin miedo“ das Lied ohne Angst, von Vivir Quintana & Mon Laferte. Ich gestehe, jedes Mal wenn ich ihn höre und singe kommen mir die Tränen. Hier auch für all jene, die kein Spanisch sprechen eine Übersetzung des Textes auf Deutsch.

[1] Namen als Platzhalter für alle Frauen, die Opfer eines Femi(ni)zids wurden, aus dem Lied “Canción sin miedo“ von Vivir Quintana & Mon Laferte, ein Song, der von Gewalt an Frauen handelt.

Am 18.7.2021 habe ich von Judith Peters in The Content Society für diesen Artikel den Impact Blogger Award erhalten und mich riesig darüber gefreut. „Der Award geht an Frauen, die mit ihren Blogartikeln schwierige Themen angehen, Tabus brechen und wichtige Themen platzieren! Themen, die das Zeug dazu haben, unsere Gesellschaft positiv zu verändern.“ Danke Judith Sympatexter Peters für diese Auszeichnung, es bedeutet mir sehr viel!

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2 Kommentare

  1. Yvonne

    Danke, Lorena, für diesen wichtigen und aufklärenden Text. Das Thema Femi(ni)zid ist definitiv eines, das noch viel mehr Öffentlichkeit braucht. Denn es ist wie du sagst, die traurige Eisbergspitze eines strukturellen Problems. Und es ist so wichtig, aufzuzeigen, dass Un-Gleichberechtigung eben zu Gewalt führt. Gegen Frauen, aber nicht nur.
    Zum Thema Sprachgebrauch finde ich auch die gebräuchliche Verwendung des Passivs bei der Berichterstattung von Femiziden ein wichtiger Punkt, der uns bewusst sein sollte: Frau in Beziehungsdrama ermordet. Anstatt: Mann hat Frau ermordet. Beim Passiv-Gebrauch ist der Fokus auf der Frau als Opfer, der Fokus sollte jedoch auf dem handelnden Täter und seiner Tat sein. Und diese Tat muss unbedingt beim Namen genannt werden.

    Antworten
    • Lorena Hoormann

      Liebe Yvonne, vielen Dank für deinen bestärkenden Kommentar!
      Und danke für die wichtige Ergänzung hinsichtlich des Sprachgebrauchs und wer in der Berichterstattung als aktiver Part suggeriert wird. Du hast vollkommen Recht, oftmals ist der Passiv hier üblich und es sollte definitiv noch eindeutiger und klarer werden, dass der Täter der aktive Part ist. Ergänzend wäre noch wichtig, alle oberflächlich als Relativierungen auffassbaren Nebensätze zu streichen. Bspw. wird ja aktuell gerne darauf hingewiesen welcher Nationalität der Täter ist. Oder, dass der Täter aussagt er hätte keine Mordabsicht gehegt, sofern das Opfer überlebt (gerade beie ienm Fall in Graz in den Medien zu lesen). Damit wird vom eigentlichen Problem abgelenkt, denn es geht nicht um ein „importiertes“ Problem, worauf aber die Diskussion dann oftmals hinausläuft. Sowohl in Social Media, als auch in politischen Debatten. Ein bewusster Sprachgebrauch und differenzierte Berichterstattung entlang der wesentlichen Fakten wäre gerade zu diesem Thema unglaublich wichtig. Danke für das Aufgreifen und Ansprechen dieses wichtigen Aspekts, der oftmals übersehen wird 🙂

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